Digitale Transformation und die Sache mit dem Hammer – Woran scheitern Digitalisierungsprojekte?

Ein Fachbeitrag von Joachim Seidler, Segment Manager Industry 

Digitalisierung und Industrie 4.0 werden auf allen Ebenen der Unternehmensführung betrachtet. Die zu erahnenden Verbesserungspotenziale und die durch die Pandemie veränderten Marktsituationen erzeugen Handlungsdruck.

Doch die beiden Begriffe sind zu wenig konkret und geben keine Hilfestellung, was eigentlich zu tun ist. Zu oft und nach zahlreichen Diskussionsrunden verständigt man sich auf den kleinsten Nenner, zum Beispiel ein Projekt mit vorausschauender Wartung (Predictive Maintenance) in einem begrenzten Umfang. Dieses Vorgehen bringt jedoch nicht die Wettbewerbsvorteile, die die Zukunftsfähigkeit am Markt gewährleisten. Die schier unendliche Anzahl an Tools und Möglichkeiten erfordern eine wissenschaftlich gestützte Analyse und Herangehensweise. Unterstützen kann hier die Disziplin der Industrial Data Science (IDS).

Was ist Industrial Data Science? 

Unter IDS wird die wissenschaftlich gestützte Analyse und Bewertung von Daten im industriell-technischen Umfeld verstanden. Inhaltlich betrachtet, umfasst dies die Beschaffung, Verwaltung, Aufbereitung und Operationalisierung von Daten. Dabei werden Verfahren, Techniken und Technologien angewendet, die auf das jeweilige Vorhaben abgestimmt sind. In diesem Zusammenhang werden oft die Begriffe Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) verwendet.  

Doch obwohl die genannten Aspekte und Begriffe für viele Unternehmen noch Neuland sind oder mindestens nicht regelmäßig geübte Disziplinen, haben sie eine hohe Anziehungskraft. Denn möglicherweise sind bereits heute ungenutzte Werte im Unternehmen vorhanden, die es herauszuarbeiten gilt. Nur so ist eine höhere Produktions- und Ressourceneffizienz durch eine (erweiterte) Digitalisierung der Wertschöpfungskette möglich.

Woran viele Digitalisierungsprojekte scheitern  

Am IT-Markt existieren zahlreiche Werkzeuge, Verfahren und Plattformen, um sich mit der Wertschöpfung aus Daten zu beschäftigen. Trotzdem hören wir zunehmend Berichte über Unternehmen, deren entsprechenden Projekte gescheitert sind oder nicht die erhofften Ergebnisse erzielten. Das verwundert und zeigt die Notwendigkeit professioneller und durchdachter Digitalisierungspläne. 

Aus unserer Sicht ist ein wesentlicher Faktor für nicht gelöste Herausforderungen oftmals das Zielbild bzw. dessen Unschärfe. Gepaart mit der Verlockung entsprechender Werkzeuge weckt die Assoziation zur Beobachtung des „Law of instrument“ oder übersetzt: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel“.  

So ähnlich erging es zahlreichen Data-Warehouse Projekten Anfang der 2000er Jahre. Mit verlockender Technologie wurden allerlei Herausforderungen gelöst, die letztendlich jedoch geringe oder keine Relevanz im Sinne der Wertschöpfung hatten – mit dem Ergebnis gescheiterter Projekte und frustrierter Beteiligte auf allen Seiten. 

Wie Digitalisierung gelingt 

Wie kann Digitalisierung also gelingen? Bei unseren Digitalisierungsprojekten definieren wir immer zuerst das Zielbild. Hierbei helfen die Fragen: Was genau soll erreicht werden? Welche Vorteile für die Wertschöpfung ergeben sich? Und ebenso wichtig: Wie kann das Erreichen des Ziels festgestellt (gemessen) werden? 

Gibt es Probleme bei der Beantwortung dieser Fragen oder unklare Aussagen, ist dies ein Anzeichen, dass zu wenig Informationen vorliegen oder kein identisches Bild bei den Beteiligten besteht. Dann ist eine Erkundung der Domäne notwendig. Hierzu bilden unsere Fach- und Technologie-Expert*innen ein interdisziplinäres Team. Im Dialog tauscht sich dieses Team moderiert entlang folgender Punkte aus:

  • Übersicht zu Datenspeichern und Bedeutung auf fachlicher Ebene 
  • Bewertung hinsichtlich Verlässlichkeit, Datenschutz und Sicherheitseinstufung
  • Klassifikation nach Änderungsfrequenz (z.B. hoch, mittel, statisch) und Verfügbarkeit (z.B. online / offline)

In einem kreativen Umfeld entsteht somit eine Abbildung der vorhandenen Daten, ihrer Verfügbarkeit und inhaltlichen Bedeutung, eine sog. Daten-Topologie. Das ist wichtig, da Daten häufig dezentral und verteilt sind und die technische Ausprägung vorhandene fachliche/inhaltliche Bedeutung verschleiert. Hierbei ermöglichen unsere technischen Expert*innen den Zugriff auf die Daten und die Fach-Expertise wiederum ermöglicht daraus folgend eine inhaltliche Bewertung. Mit diesen Informationen ausgestattet, können gezielt Services und Produkte formuliert und deren Unterstützung durch Daten verifiziert werden.

In der Realität ergeben sich oft komplexe Fragestellungen und eine differenzierte Analyse der Datenbasis ist erforderlich. Dank unserer akribischen Vorarbeit fällt diese beherrschbar aus und in vertretbarer Zeit kann eine Vielzahl von Ideen auf ihre Vorbedingungen geprüft werden. Darüber hinaus unterstützt die übersichtliche Daten-Topologie die pragmatische Definition von Fragestellungen, z.B. ob sich auf Basis unserer Daten Muster erkennen lassen, wann ein Produkt einen verschleißbedingten Ausfall hat.

Fazit: Erfolgreiche Digitalisierung durch den Einsatz von Industrial Data Science 

Gegen ein opportunistisches Vorgehen ist nichts einzuwenden, wenn frühzeitig feststeht, ob das Projekt machbar sein wird und Aussicht auf Erfolg hat. Andernfalls droht die viel zu späte Erkenntnis, dass das Projekt zu scheitern droht oder nicht die erhofften Ergebnisse hervorbringt. Industrial Data Science ist hierzu ein sinnvolles Werkzeug.

Die Erstellung der notwendigen Daten-Topologie erfordert jedoch sowohl Fach- als auch Technologie-Kompetenz, die nur durch Unternehmen erbracht werden kann, die genug Erfahrung und Detailwissen für alle begleitenden Prozesse mitbringen. Nur dann folgt auf Basis einer gesicherten Einschätzung auch der Einsatz komplexer Technologien, zum Beispiel im Kontext ML oder KI, zur gezielten Erschließung neuer Potenziale.